Die Augenzeugin (Anna Bagstam)
Von:
Poldi
01.06.2021
Harriet Vesterberg kehrt nach einem erfolgreichen Karrierestart als Polizistin in Stockholm in ihr kleines Heimatdorf zurück, um ihren Vater zu unterstützen, der mit einer beginnenden Demenz zu kämpfen hat. Doch die Eingewöhnung in das neue Umfeld fällt ihr nicht leicht, insbesondere ihre herrische Chefin macht ihr das Leben schwer. Und schon bei ihrem ersten Mordfall geraten die beiden einige Male aneinander. Dabei scheint nur Hariett den Fall lösen zu können, da sie sich sicher ist, den Täter zu kennen…
Anna Bagstam hat mit „Die Augenzeugin“ ihren Debutroman neben ihrer schwedischen Heimat nun auch in Deutschland veröffentlichen können – wobei das momentan sehr populären Genres des skandinavischen Krimis sicherlich geholfen hat. Der Roman ist allerdings nicht als Stand-Alone konzipiert, es soll sich eine ganze Reihe und die Ermittlerin Harriet Vesterberg anschließen. Und da ist es nur verständlich, dass diese zunächst recht ausführlich vorgestellt und auch ihr privater Hintergrund näher beleuchtet wird. Mir gefällt, dass eben nicht dem Klischee des vom Leben enttäuschten Ermittler entsprochen wird, sondern Hariett im Gegenteil ihre Karriere noch vor sich hat. Ihr werden dabei einige Steine in den Weg gelegt, wobei sie oft auch noch recht naiv und leicht einzuschüchtern wirkt – gerade zu Beginn, denn die Wandlung des Charakters ist hier bereits deutlich zu merken und überzeugend eingebaut. Auch der Teil um den demenzkranken Vater habe ich als gelungene Idee und willkommene Abwechslung empfunden, zumal mich der weitere Verlauf dieses Handlungsstranges neugierig gemacht hat. Allerdings ist anzumerken, dass mit dem anfänglichen Fokus auf diesen Themen der eigentliche Fall recht langsam erzählt wird, was den Einstieg in die Handlung etwas holprig wirken lässt. Im weiteren Verlauf legt sich dieser Eindruck aber wieder und gipfelt sogar in einem packenden Cliffhanger, der neugierig auf die weitere Entwicklung macht.
Ist der Roman erst einmal bei dem Mordfall angekommen, ist dieser gut überlegt und spannend aufbereitet. Bagstam lässt ihre Ermittlerin keinesfalls nur den einfachen Weg gehen, es sind einige gelungene Finten eingebaut, die den Leser auf falsche Spuren locken. Bis recht kurz vor dem großen Finale hatte ich keine sichere Ahnung, wer Täter oder Motiv sein könnten, was dann überraschend aber durchaus stimmig aufgelöst wird. Dabei liegt der Fokus stets auf Harriet und ihren Erlebnissen, nur wenige Szenen am Ende werden nicht aus ihrer Perspektive erzählt. Ungewohnt ist die gewählte Zeitform des Präsens, was mit anfangs etwas irritiert hat, aber auch zu einem sehr unmittelbaren Eindruck des Geschehens beigetragen hat. Die vielen Landschaftsbeschreibungen sind gut eingebunden und ziehen sich nicht in die Länge, sondern verstärken das Lokalkolorit und die vorherrschende Atmosphäre.
„Die Augenzeugin“ ist ein bemerkenswerter Debutroman, wobei neben einer eingängigen und spannend erzählten Geschichte auch einige individuelle Komponenten eingebaut sind – die Unsicherheit der Hauptfigur und die Probleme mit dem erkrankten Vater beispielsweise. Das ist trotz einiger Längen zu Beginn sehr unterhaltsam erzählt und mit einem packenden Handlungsbogen versehen, zumal die Lust auf kommende Bände geweckt wird.